Vielleicht habt Ihr auch schon den Begriff „artgerechte“ Erziehung gehört oder gelesen. Was kann das bedeuten? Warum gelingt das Begleiten der Kinder bei manchen Familien so gut, und andere Eltern scheinen immer wieder so sehr mit den Kindern zu kämpfen? Möglicherweise fand Jesper Juul (u.a. Familientherapeut, bekannt für viele seiner Bücher) eine angemessene Antwort in den gemeinsamen Werten:
Gleichwürdigkeit: zwischen allen Familienmitgliedern und überhaupt allen Menschen, das bedeutet weder Ebenbürtigkeit noch Gleichheit. Gleichwürdigkeit in Beziehungen meint, dass wir bedingungslos anerkennen, dass alle Menschen, egal welchen Alters, welcher Herkunft, welchen „Zustandes“ von gleichem Wert sind. Natürlich haben Erwachsene mehr und anderes Wissen, Kraft und objektive Macht als Kinder.
Aber wir Erwachsene können die Kinder in ihren Emotionen, Wünschen, Bedürfnissen, ihren Nöten und ihren eigenen Wahrheiten und Wirklichkeiten ebenso wahr- und ernstnehmen wie andere Erwachsene und wie uns selbst. Das bedeutet, dass wir die Würde jedes anderen Menschen vollkommen respektieren. Auch wenn die andere Person andere Bedürfnisse, Werte, Wahrheiten hat.
Integrität - das meint, dass wir Erwachsenen in jedem gemeinsamen Lebensbereich, sei es in der Familie, der Schule, an anderen Begegnungsorten, lernen, unsere eigenen Grenzen wahrzunehmen und wertschätzend und auf Augenhöhe zu äußern, statt Grenzen für Kinder zu finden. „Die eigenen Grenzen spüren und auf bedeutungsvolle Weise kommunizieren, zu einem ‘Nein’ stehen, ohne sich dabei in eine Machtposition über das Kind zu erheben“ – das sind nach Juul Lernaufgaben für die Eltern und Fachpersonen. Es geht nicht darum, Grenzen um der Grenzen willen, aus bestimmten Konventionen oder Regeln zu setzen, sondern es geht um eigene, persönliche, momentan spürbare Grenzen. Und Kinder lernen, Grenzen der anderen Menschen zu achten, wenn ihre eigenen Grenzen würdevoll geachtet werden.
Authentizität: Wenn wir gelernt haben, „wir selbst“, also die Person zu sein, die wir wirklich sind, können wir andere Menschen in ihrem eigenen So-sein wahrnehmen und annehmen. Wenn das alle in der Familie dürfen, ohne Sorge, bewertet zu werden, kann ein gesundes Miteinander leichter gelingen, als wenn alle versuchen, einer bestimmten Rolle zu entsprechen und Erwartungen durch Konventionen für andere zu erfüllen. Jede:r darf Fehler machen, Schwäche zeigen. Lasst uns Role Models sein für „Ich darf so sein, wie ich bin“.
Eigenverantwortung: - Können wir eigene Fehler eingestehen, uns entschuldigen, zu uns stehen, auch wenn sich das mal unangenehm anfühlt? Können wir Verantwortung für unsere Handlungen, unsere Worte, unsere Reaktionen, unseren Gefühlsausdruck anderen gegenüber tragen?
Und dabei sind wir Erwachsenen immer und überall dafür zuständig, die Atmosphäre zu gestalten. Die Qualität der Beziehung zu erhalten und zu gestalten. Kinder können das noch gar nicht können. Kinder sind nicht zuständig. Nicht verantwortlich. Aber wir sind die Vorbilder. Die Gestalter:innen.
Wir brauchen starke innere Werte, um klar mit unseren Kindern kommunizieren zu können, und wir brauchen Neugier aufeinander und Augenhöhe ohne Machtausnutzung.
Wie denkt Ihr über „artgerechte Erziehung“?
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